#Expedalition- Eine Skitourentrip mit dem Rad

20 Grad, leichte Brise, T-shirtwetter. Wir sitzen Ende März auf der Terrasse und sollten packen. Vor dem dritten Radler holen wir beim nächsten Bikeladen Pappkartons. Wir haben uns in weiser Voraussicht den ganzen Tag Zeit genommen, um die Ausrüstung flugfähig zu machen. Was hat uns eigentlich geritten? – denke ich mir als wir in München mit zwei Radboxen, zwei Anhängern und in Plane eingewickelten Ski am Flughafen stehen. Fahrräder als Transportmittel für drei Wochen Skitouren in Nordnorwegen. Übernachten im Zelt. April. Für die Allermeisten ein Vorhaben zwischen gewagt und undenkbar – sicher kein entspannender Urlaub. Für uns? Mal sehen.

„Bei so einer Aktion ist das Glück nachher größer als die Vorfreude, jetzt hab ich eher noch Bammel“

Irgendwann vor einem Jahr im Auslandssemester in Trondheim kam uns die Idee. Wie geht man auf Skitour ohne Auto? Versierte Fahrradfahrer sind wir schon länger; Auch für die ein oder andere Tagestour haben wir uns schon den Zustieg mit dem Rad erleichtert. Es dauerte dann noch eine Weile bis wir Nägeln mit Köpfen machten und um Weihnachten die Flüge buchten. Danach überlegten wir uns, wie wir Skitourenausrüstung und Wintercampingsachen auf dem Fahrrad transportieren. Irgendwann standen dann auch zwei Fahrradanhänger bereit – der Grundstein war gelegt und zurück ging nicht mehr.

In Bodo am Flughafen sind alle 5 Gepäckstücke durchgekommen. Wir bauen am nächsten Morgen die Räder auf und gewöhnen uns an die Fahrt mit den Trailern. Bis wir alles austarieren und Ski, Schuhe & Stöcke bestmöglich platzieren dauert es eine Weile. Das endgültige ‚Setup‘ wird erst nach einigen Tagen Einsatz gefunden sein. Wir kleben die Trailer noch mit Klebeband ab, um sie vor den Skikanten zu schützen.

Dann geht es mit der Autofähre auf die Lofoten. Die recht extensive Planung sieht vor, die Lofoten von West nach (Nord-)Ost zu durchqueren. Der Vollständigkeit halber fahren wir also vom Hafen nach Å, was der Westspitze der Lofoten am nächsten liegt und schlafen dort. Ab hier sind wir auch schon mittendrin. Am ersten Fahrradtag besteigen wir den Ryten bei Fredvang. Unser Ziel ist es jeden Tag mit gutem Wetter zu nutzen. Bis uns das Wetter unterbricht fahren wir bis Leknes und gehen täglich eine Skitour. Mich (J) erreicht ein kurzes Video von Zuhause; Im Ofen brutzelt ein Schweinebraten, die Kruste schnalzt und aus dem Off hört man ein bewunderndes Lachen und ein freudiges ‚Hurraa!‘. Meine zugegeben etwas gehässige Antwort ist ein kurzes Gipfelpanorama des Stornappstinden – das wohl schönste meines bisherigen Lebens. Unsere dämlich grinsenden Gesichter strahlen in der Sonne während wir eine noch unbefahrene Südrinne abfahren. Abends gibt es, wie immer, Couscous mit Konservengemüse.

Tricky auf den Lofoten sind für Radfahrer die Tunnel. Da in Nordnorwegen die meisten Autos mit Spikes ausgerüstet sind, sind sie ungeheuer staubig. Die Inseln Flakstad und Vestvåg sind nicht durch eine Brücke, sondern einen solchen Tunnel verbunden, bei dem zusätzlich noch Höhenmeter zurück über die Wasserlinie zu überwinden sind. Es knirscht zwischen den Zähnen wie nach einem Beachvolleyballmatch und wir sind sicher, wir haben beim Rauskeuchen ein paar Lebensjahre in unsere neuen Staublungen investiert.

Den ersten größeren Schlechtwetterblock verbringen wir an einem Campingplatz nahe Leknes. Schon letztes Jahr haben wir hier bei unserem Roadtrip Schlechtwetter in einem kleinen roten Holzhüttchen abgesessen. Diesmal wird es die erste von nur zwei festen Schlafstätten unserer Reise bleiben. Nach zwei Tagen fliegen wir aus einem uns unbekannten Grund am späten Nachmittag vom Campingplatz und machen uns auf Richtung Svolvaer. Das Wetterkarma ist uns wohlgesonnen und schickt die Sonne zu uns raus – hah, danke fürs Ärsche hochziehen, launischer Campingplatzbesitzer. Wir radeln an einem einsamen Küstenabschnitt entlang, vorbei am tags zuvor bestiegenen Justadtinden und genießen die großartige Landschaft. Abends zelten wir am Meer.

Tags drauf gehen wir auf den Botntinden (711 m. ü. NN). Wir unterhalten uns dort mit einem Deutschen, der vor 15 Jahren aus Deutschland auswanderte. Er gibt uns noch Tipps wie wir am besten diesen Berg besteigen, es gilt nämlich einen nicht ganz kleinen Schmelzwasserbach zu überqueren. Zusätzlich liefert das norwegische Wetter die üblichen Kapriolen: Sonne, Regen und Schnee innerhalb einer Stunde. Die Abfahrt durch exzellentes Gelände wird ein bisschen von diffusem Licht und nicht ganz optimalem Schnee getrübt. Abends kommen wir geschaffter als bisher am Dumpster in Kabelvåg an und treffen dort zwei gleichgesinnte einheimische Mädels. Sie weisen uns auf die Frage nach einem schönen Plätzchen fürs Zelt zum Gelände des örtlichen Waldkindergartens. Dort können wir bei Windstille angenehm Zelten, unsere Sachen im Planenverschlag trocknen und sogar unser Geschäft im Freiluftklo mal wieder gemütlich sitzend verrichten.
Am nächsten Tag geht es auf den Blåtinden bei Svolvaer. Der vielleicht meistbestiegene Skitourenberg der Lofoten und Hausberg von Svolvaer. Wir besteigen diesen über den Nordhang. Jonathan muss die Ski abschnallen, da es steil und eisig ist. Über den Grat gelangen wir dann bei Windstille auf den Gipfel. Außer uns ist – warum auch immer – niemand anderes unterwegs.
Wir übernachten am Strand. Am folgenden Morgen genießen wir ausgiebig die Sonne bis wir Richtung Geitgallen (Groß und mächtig, schicksalsträchtig) aufbrechen. Wir steigen bei Neuschnee auf. Gestern war der meistbegangene, heute der bekannteste Berg der Inseln dran. Ungleich höher, alpiner und mächtiger – dadurch aber auch seltener möglich. Im Schneegestöber eines Schauers müssen wir auf den letzten Metern abrechen, da wir weder Pickel noch Steigeisen dabei haben, ohne die das steile Firnfeld ganz oben schnell ungemütlich werden kann. In der Abfahrt gibt es dann kein Halten mehr: frischer Powder und ideales Gelände so geil, dass wir vergessen, Bilder zu machen. Nach der Abfahrt fängt es wieder an zu schneien.

An den folgenden Tagen ist erstmal die Luft raus. Wir verbringen zwei Nächte im Regen auf dem Campingplatz Sandsletta. Jonathan hat im Dumpsterlotto verloren und kotzt in der ersten Nacht aus dem Zelt. Hoffentlich keine Grippe. An Tag zwei geht’s dann schon wieder besser und die Speicher können wieder gefüllt werden – puh, nur eine Magenverstimmung. Von anderen Skitourern bekommen wir einen Tipp, der uns aus der Lethargie reißt: Wenig weiter am Fjord befindet sich eine Schutzhütte für Radfahrer, Skifahrer und Surfer. Wir verlassen dafür bei Regen den Campingplatz. Die rundum verglaste Schutzhütte am Strand bietet Unterschlupf und wir werden von den später eintrudelnden Tippgebern zu Ratatouille und Fisch eingeladen. Ein wohltuendes Mahl nach tagelangen Couscous-Sessions. Dazu gibt’s Bier und Tequila. Wir steuern noch unseren Gipfelschnaps bei und einem feuchtfröhlichen Abend unter Gleichge(un)sinnten steht nichts mehr im Wege.

Nach Ende des Regens verlassen wir die Lofoten mit der Fähre via Fiskebol-Melbu. Von nun an befinden wir uns geographisch auf den Ofoten und die Landschaft verändert sich. Die Berge werden größer und weniger schroff, aber nicht weniger Imposant. Nach Tagen der Abstinenz gehen wir auch endlich wieder eine Skitour. Powder im Gipfelhang und pistenartiger Harsch ohne Bruch im Mittelteil, mit grandiosen Blick zurück auf die Lofoten.

Dann passiert es und wir erleiden unseren ersten Platten. Nach dem Flicken bricht uns auch noch das Ventil, sodass wir unseren Ersatzschlauch verbrauchen müssen. Der Riss im Mantel wird natürlich fachgerecht mit Gaffatape geflickt. Die nachmittägliche Tour führt wegen der Verzögerung und des unterschätzten Gipfelgrades nicht bis zum Gipfel.

Wie schon am Vortag sind wir auch bei der zweiten Tour Nahe Flesnes allein. Jetzt müssen wir sogar Spurarbeit leisten, da diese Gegend wenig touristisch geprägt ist. Am Titinden bläst es uns im Aufstieg fast vom Rücken. Hinter der Gipfelwechte herscht jedoch absolute Windstille. Wir sitzen in der Sonne und genießen die Wärme. Es ist schön ab und an einfach nicht zu frösteln. Nach einer weiteren Nacht in freier Wildbahn genehmigen wir uns mal wieder eine Dusche. Auf dem Campingplatz lassen wir uns bei bestem Wetter die Sonne auf den Pelz scheinen und brechen das erste Mal unsere Regel und gehen keine Skitour an einem guten Tag. Die Wettervorhersage sagt schlechtes Wetter voraus. Uns bleiben noch zwei gute Tage um nach Narvik zu kommen. Allerdings liegen da noch 130 km mit dem Rad vor uns und ein hübscher Berg muss auf dem Weg noch angemessen begutachtet werden. Das Begutachten lohnt sich ziemlich. Wir bekommen nochmal eine ordentliche Ladung Powder ab, allerdings sind wir beide so im Unterzucker, dass wir mal wieder vergessen Bilder zu machen. Schlussendlich übernachten wir nach zwei harten Tagen (130km Rad 1100hm Skitour 1700hm Rad) am Strand vor Narvik. Wir genehmigen uns ein Bad im arktischen Meer; An dieser Stelle wollte einer der Autoren beim texten unterschlagen, dass dafür viel Überzeugungsarbeit des anderen Autoren von Nöten war (Anm. d. Red.). Am nächsten Tag beenden wir unseren Trip nach 18 reinen Tourtagen, 620km und ca. 6500hm auf dem Fahrrad und noch etwas mehr auf Ski.

Wir nehmen den Bus zurück nach Bodø wo wir auf dem Campingplatz unseren Flug abwarten und während einem Schönwetterfenster noch zu einer letzten Skitour aufbrechen. Nach einer finalen, spaßigen Abfahrt können wir zurück am Parkplatz gerade noch einen Polizeieinsatz abblasen. Ein besorgter Bürger wollte diesen starten, nachdem er unsere Räder, Hänger und zum Trocknen aufgehängte Schuhe und Kleidung bemerkt hatte. Er macht uns einen Vorwurf, wir hätten eine Notiz hinterlassen sollen. Wir zeigen Verständnis, er gibt der Pozilei telefonisch den Fehlalarm durch und zieht von dannen. Zu allem Überfluss zeigt uns der kajakfahrende Ungar am Campingplatz in Bodo einen Tag später ein Bild von der riesigen Wechte an ebendiesem Berg, die offenbar kollabiert ist, eine Nacht nachdem wir unsere Kurven unter ihr zogen. Eine sehr kleine, aber nicht ungefährliche Lawine. Das stimmt nachdenklich, vielleicht waren wir da zu unvorsichtig, nach dem Motto:

„Die letzte Tour, kein steiles Gelände, passiert schon nix“(J)

Aber nach reichlich Reflexion war es ein logischer, unterhaltsamer und damit lohnender letzter Ausflug.

Unterm Strich: Alles hat überraschend gut funktioniert. Wir haben kein Fahrrad oder Ski kaputt gemacht, alle Zehen sind noch dran; Köpfe auch (was nicht bedeutet, dass sie durch die viele Frischluft jetzt mehr denken).
Es war ein toller, lehrreicher, berauschender, vielleicht bewusstseins-, auf jeden Fall sinneserweiternder Trip! Wir sind zu Dankbarkeit verpflichtet, so einen Scheiß machen zu können. Ein besonderer Dank geht hier natürlich auch an unsere Sponsoren Topeak, Ergon und Julbo ohne euch wäre dieser Trip noch chaotischer geworden.

Fotos & Text von Jonathan Pietsch & Tim Steffinger

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